Familienrezepte: Maultaschen über die Nabelschnur


Familienrezepte: Maultaschen über die Nabelschnur

Jede alteingesessene Familie im Schwabenland hat ihr eigenes Maultaschenrezept. Nicht irgendein Rezept. Sondern das Beste! So hallt es durchs Ländle: »Die von meiner Mutter sind die besten!« Wie kann das sein?

Nun, es liegt daran, dass unser Geschmackssinn in der Kindheit geprägt wird. Durch Speisen, die wir am Familientisch immer wieder angeboten bekommen. Tatsächlich prägen sich erste Geschmackspräferenzen bereits vor der Geburt aus. Schon im Mutterleib, wie Studien zeigen. Das Essen der Mutter hat demnach über die Nabelschnur und das Fruchtwasser beträchtlichen Einfluss auf die späteren Lieblingsgerichte des Kindes. Isst die Mutter viel leckere Maultaschen, liebt das Kind später genau diese Maultaschen.

So werden die Präferenzen für die Familienrezepte von Generation auf Generation übertragen. Das gilt natürlich nicht nur für Maultaschen, sondern auch für Kartoffelsalat, Sonntagsbraten oder den Apfelkuchen der eigenen Mutter.

Es geht auch um Emotionen

Dabei geht es jedoch nicht bloß um das Wiederholen: Immer wieder das gleiche Rezept, das gleiche Mittagessen, der gleiche Kartoffelsalat, die gleichen Maultaschen. Sondern es geht in hohem Maße auch um Emotionen – die kulturelle Prägung des Geschmacks.

Verbinden sich Gerüche und Geschmacksempfindungen positiv mit Erlebnissen an die elterliche Küche, an Familienfeste, an Kindheit und anderes mehr – dann beeinflussen auch diese Erinnerungen die Geschmacksvorlieben. Gerade diese emotionalen Verknüpfungen erschaffen besonders starke Prägungen und Präferenzen. Und so kommt es, dass dieser so ausgeprägte Sinn für Gutes und Geschmack aus der Kindheit unsere Wahrnehmungen beeinflussen. Ein Leben lang.

Es geht um Leben und Tot

Aus diesen Gründen lassen Schwaben auf ihr Maultaschen-Familienrezept nichts kommen: „Des sen die Beschte!“. Egal ob Lieschen Müller oder Sternekoch. Die Absolutheit der Schwaben in Bezug auf ihr vertrautes Maultaschenrezept ist die gleiche. Vincent Klink, Sternekoch in Stuttgart, geht sogar so weit: „Wenn wir bei uns im Restaurant eine Maultasche machen“, so erzählte er in einem TV-Interview, „dann geht‘s um Leben und Tod.“

Und weil dem so ist, macht es keinen Sinn, mit Schwaben über die Güte der Maultaschen ihrer Familie zu diskutieren, geschweige denn zu streiten. Die Kraft der Gaumenprägung in der eigenen Kindheit ist einfach übermächtig.

Das hat, finde ich, auch etwas mystisches.

Hochzeitskonflikte

Kniffelig wird es, wenn sich zwei Schwaben ehelichen und zwei verschiedene Familienrezepte aufeinanderprallen. Es soll schon heftigste, voreheliche Auseinandersetzungen gegeben haben um die Frage, wessen Maultaschen die traditionelle Hochzeitssuppe bereichern dürfen: Die von ihrer Mutter, oder die von seiner Mutter?

Oh, man will bei diesen hitzigen Auseinandersetzungen nicht dabei sein müssen.

Aus eigener Erfahrung plädiere ich für friedlichen Koexistenz. ☺️

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