Die Maultaschen-Erfinder vom Kloster Maulbronn
Gläubige Hindus pilgern einmal im Leben zum Ufer des Ganges.
Katholiken nach Lourdes. Muslime nach Mekka.
Jeder Schwabe und Maultaschenfan sollte einmal im Leben den Maultaschen-Wallfahrtsort Maulbronn besuchen.
Unsere zurecht glorifizierten Maultaschen wurden von schwäbischen Mönchen erfunden. Wahrscheinlich Mitte des 15. Jahrhunderts, als das Kloster Maulbronn seine Hochphase erlebte. Bis zu 130 Mönche lebten zu jener Zeit im bereits 1147 erbauten Zisterzienserkloster.
Die Umstände, die zur Erfindung der genialen Rezeptidee führten, waren mittelalterlich-unwirtlich. Die Menschen litten damals unter kalten Wintern, schlechten Ernten und der Pest. Selbst in der monströs großen Abtei im schwäbischen Dörfchen Maulbronn herrschte Not.
Mönch Jakob und sein Stück Fleisch
Im Gegensatz zu den Herrenmönchen, die das Kloster nie verließen, durfte der einfache Laienmönch Jakob hin und wieder ins Dorf gehen für Erledigungen. Bei einem seiner Ausflüge fiel ihm ein Stück Fleisch in die Hände. Er nahm es mit ins Kloster. Jakob war ein Tüftler, ein Macher, knitz und umtriebig. Ein echter Schwabe eben. Und bei den Schwaben gilt seit jeher: Nix verkomma lassa.
Was also tun mit dem wertvollen Stück vom Schwein, mitten in der Fastenzeit. Die klösterlichen Regeln untersagen den Verzehr strikt. Doch schließlich hatte er eine bestechende Idee: Warum nicht das Fleisch kleinhacken und verstecken zwischen vielen verschiedenen anderen Zutaten? Dann würde der Herrgott das Fleisch nicht sehen und die Sünde bliebe ungesühnt.
Viel Grün aus dem Klostergarten
Klosteranlagen haben seit jeher ihre eigenen Kräuter- und Gemüsegärten zur Selbstversorgung. So auch die Zisterzienser in Maulbronn. Hier bediente er sich. Er hackte das wenige Grünzeug klein, das die Natur im Frühjahr schon hergab: den ersten Schnittlauch, Ackersalat, kräftigen Winterspinat. Hinzu kamen Zwiebeln, altes Brot, Eier. Das in winzige Stücke zerteilte Fleisch schummelte er in diese grüne Masse.
Um auf Nummer sicher zu gehen, verhüllte er seine Camouflage-Mischung auch noch mit Nudelteig. So fühlte er sich und seine Glaubensgenossen ganz sicher vor dem strengen Blick des Herrn, als die ersten Maultaschen an einem Gründonnerstag im Kloster Maulbronn zum Abendessen gereicht wurden.
Es waren also Katholiken, die unsere Herrlichkeit in der Gegend zwischen Pforzheim und Stuttgart schufen.
Klosterküche gibt es nicht mehr
Wenn man mit dem Leiter der Klosterverwaltung, Peter Braun, durch die Jahrhunderte alten Gemäuer flaniert, kann man sich vorstellen wie es damals gewesen sein muss. Wir erreichen schließlich das Herrenrefektorium, den Speisesaal der Herrenmönche. Beeindruckende Säulen bestimmen den romanischen Raum. Wir verharren vor der inzwischen zugemauerten Durchreiche. Dahinter war früher die Küche, von der leider nichts mehr geblieben ist. Hier müssen sie durchgereicht worden sein, die ersten Maultaschen, um die hungrigen Mönche zu versorgen.
Die Jakob-Story
Elke Knittel zeichnet in einem wunderbaren Taschenbüchle mit viel Wissen und Verständnis um die mittelalterlichen Zustände rund um das Kloster, nach, wie sich diese Geschichte damals zugetragen hat. Im Info-Zentrum des Klosters, das seit 1993 zum UNESCO Weltkulturerbe zählt, kann man es für 9,90 Euro erwerben: „Wie Jakob die Maultasche erfand.“
Was danach geschah beschreibt sie wie folgt:
„Die Leute erzählten bald überall von der guten Mahlzeit, die es am Gründonnerstag, am Tag vor Karfreitag, im Kloster Maulbronn gegeben habe. Natürlich wollten die Hausfrauen im Lande nicht minder fromm den Gründonnerstag begehen. Sie machten sich daran, die Maulbronner Nudeltaschen nachzukochen. Ihnen war’s nur recht, dass auch ein wenig Fleisch darin sein durfte. Denn auch sie wollten nichts verkommen lassen, was sie rein zufällig im Hause hatten. Doch jede füllte ihre Nudeltasche ein bisschen anders, denn keine hatte ja das genaue Rezept vom Jakob.“
Die Sünde verewigt in einem Wort
Viel später muss es gewesen sein, als diese kleine verzeihbare Sünde sich in einem Wort manifestierte, das im Schwäbischen bis heute diese Erfindergeschichte in einer wundervollen Wortschöpfung verdichtet: Herrgottsbscheißerle. Übersetzt: Den Herrgott ein klein wenig um die Fleisch-Wahrheit in den Teigtaschen betrügen.
Ein kleiner Beschiss mit nachhaltiger Wirkung
Die Museumsverantwortlichen pflegen hier bis heute dieses Narrativ und die Nudeltaschen-Tradition in ganz vielfacher und liebevoller Art und Weise. So können Führungen gebucht werden, bei denen die Teilnehmer selbst frische Maultaschen herstellen und sie anschließend im festlich eingedeckten Eselstall genießen können. Ein würdiger Abschluss des Klosterbesuchs und ein Mordsspaß für Groß und Klein.
Seitdem die Reformation im Jahr 1534 die katholischen Mönche aus dem Ländle fegte, herrschen die Protestanten über die Klosteranlage. Sie dient seither als evangelische Klosterschule, eine der ältesten und schönsten Deutschlands. Denn: Das ehemalige Zisterzienserkloster Maulbronn gilt als das am besten erhaltene mittelalterliche Kloster nördlich der Alpen.
Im Museumsshop gibt es passende Maultaschen-Devotionalien. Holzkistchen mit Maultaschen-Rezept (aus Winnenden, ehrlich) und Gewürzen zum selber machen. Sixpacks mit braufrischem Maulbronner Klosterbräu, kernig, würzig mit feinherbem Hopfenaroma. Oder lokale Spitzenweine vom Weingut Herzog von Württemberg.
Zum Pflichtprogramm gehört der Einkehrschwung ins stilvolle schwäbische Restaurant „Ehemalige Klosterschmiede“ (täglich geöffnet). In den Stuben des 1201 erbauten Fachwerkhauses verwöhnen die Söhne von Metzgermeister Schempf, der es bereits in den 1980er Jahren mit der längsten Maultasche der Welt ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte, ihre Gäste. Im Zentrum der Speisekarte stehen, wie sollte es auch anders sein, Klostermaultaschen.
So allerhand Unsinn
Man findet übrigens auch ein „Originalrezept Maulbronner Maultaschen“. Es suggeriert, dass die Mönche ein Rezept hinterlassen haben. Doch es gibt leider kein einziges derartiges Dokument im ganzen Klosterarchiv. Bei dem Rezept handelt es sich um eine neuzeitliche Kreation eines findigen Gastronoms.
Manche Quellen spekulieren, die Maultasche könnte auch von protestantischen Waldensern erfunden worden sein. Diese waren Glaubensflüchtlinge aus Norditalien, die sich in Süddeutschland ansiedelten. Aber mal ehrlich: Maultaschen sind nicht wie Ravioli.
Andere versteigen sich in die Theorie, es gäbe eine Verbindung zu Margarete von Tirol-Görz, einer österreichischen Adeligen des 14. Jahrhunderts, die ab dem Jahre 1366 auch Margarete Maultasch genannt wurde. Aber dass eine Österreicherin schwäbische Maultaschen erfunden haben soll? Unsinn.
Was wohr isch muss wohr bleiba!
Hallo,Maultaschenfreunde! Ich lebe mit meiner Familie in Yokohama,Japan.Jedes Jahr in den Sommerferien gings zur Oma nach Deutschland.Und was haben sich meine Kinder gewuenscht,wenn die Oma gefragt hat,was sie essen wollten?Das,was sie in Japan so nicht kriegen konnten und ihnen deshalb der Name des Gerichtes nicht einfiel:“Bitte ,Oma,mach uns wieder die Suppe mit den kleinen Kopfkissen!“ . . .
So eine schöne Geschichte mit den Kopfkissen!